Augentropfen stoppen Sehverlust bei Tieren

In Deutschland leben nach Schätzungen mindestens 30.000 bis 40.000 Menschen mit Retinitis pigmentosa – einer erblichen Erkrankung der Netzhaut, die oft schon in jungen Jahren beginnt und unaufhaltsam vor­an­schrei­tet. Betroffene verlieren schrittweise ihr Sehvermögen, bis sie irgendwann vollständig erblinden. Eine Heilung gibt es bisher nicht. Doch nun gibt es einen viel­ver­spre­chen­den Ansatz: Forscher des National Eye Institute (NEI), einer Einrichtung der US-Gesund­heits­be­hörde NIH, haben Augentropfen entwickelt, die in Tierversuchen den Sehverlust deutlich verlangsamen konnten.

Das Besondere an dieser Entwicklung: Die Tropfen wirken direkt auf die Netzhaut und sollen dort die Zellen schützen, die für das Sehen zuständig sind – ohne Spritzen, ohne operative Eingriffe. In ersten Tierversuchen blieben deutlich mehr Sehzellen erhalten, als es ohne Behandlung der Fall wäre.

Neue Substanz schützt gefährdete Netz­haut­zel­len

Die Tropfen enthalten ein kleines, aber ent­schei­den­des Bruchstück eines kör­per­ei­ge­nen Schutz­pro­te­ins, das als PEDF (Pigment Epithelium-Derived Factor) bekannt ist. Dieses Protein kommt im gesunden Auge von Natur aus vor und schützt dort die licht­emp­find­li­chen Zellen der Netzhaut. Bei Patienten mit Retinitis pigmentosa ist dieser Schutz­me­cha­nis­mus jedoch gestört oder überfordert.

Die Forscher entwickelten deshalb ein verkleinertes Fragment dieses Proteins – sogenannte Peptide – das problemlos durch die äußeren Augen­schich­ten bis zur Netzhaut vordringt. In Tiermodellen mit einer Retinitis pigmentosa-ähnlichen Erkrankung konnte eines dieser Peptide, genannt H105A, die Zahl der überlebenden Sehzellen deutlich erhöhen. Laut Stu­di­en­au­to­rin Alexandra Bernardo-Colón sahen die behandelten Netz­haut­schich­ten „dramatisch gesünder aus – ohne erkennbare Neben­wir­kun­gen“.

Sehkraft bleibt länger erhalten – auch in schwer geschädigten Augen

In den Versuchen mit Mäusen traten die ersten Schäden an der Netzhaut wenige Tage nach der Geburt auf – ein rasanter Verlauf. Ohne Behandlung verloren die Tiere innerhalb einer Woche fast alle Pho­to­re­zep­to­ren. Mit täglicher Gabe der Augentropfen hingegen blieben bis zu 75 Prozent dieser Zellen erhalten. Auch die Reaktion der Netzhaut auf Licht blieb stabil – ein Zeichen dafür, dass die verbliebenen Zellen nicht nur vorhanden, sondern auch funk­ti­ons­fä­hig waren.

Das For­schungs­team testete außerdem, ob die Tropfen auch dann helfen können, wenn sie nicht dauerhaft gegeben werden. In Kombination mit einer nachfolgenden Gentherapie blieb die Sehkraft der behandelten Tiere über Monate hinweg erhalten.

Menschliches Gewebemodell bestätigt die Wirkung der Tropfen

Um zu prüfen, ob der Effekt auch bei Menschen denkbar ist, wurde die Behandlung an einem künstlich erzeugten Netz­haut­ge­webe aus menschlichen Zellen getestet. Die Zellen wurden in der Petrischale gezielt unter Stress gesetzt – so, wie es bei Retinitis pigmentosa im echten Auge geschieht. Ohne Behandlung starben die Zellen schnell ab. Mit dem PEDF-Peptid blieben sie deutlich länger lebensfähig.

Dieser Versuch liefert zwar keinen Beweis für die Wirksamkeit am lebenden Menschen, aber er zeigt, dass der Wirkstoff grund­sätz­lich auch im menschlichen Auge ankommen und wirken kann – ein ent­schei­den­der Schritt auf dem Weg zu klinischen Studien.

Sanfte Therapie ohne Neben­wir­kun­gen – großer Vorteil für Patienten

Neben der Wirksamkeit spielt auch die Ver­träg­lich­keit eine zentrale Rolle. In allen bisherigen Tests traten weder toxische Effekte noch andere unerwünschte Reaktionen auf. Das macht die Tropfen zu einem möglichen Kandidaten für die langfristige Anwendung – gerade bei einer Erkrankung, die über Jahre fortschreitet.

Für viele Betroffene wäre eine solche Behandlung ein bedeutender Fortschritt. Sie könnte Zeit gewinnen, bis neue Gentherapien oder andere gezielte Behandlungen zur Verfügung stehen – oder in manchen Fällen sogar ganz unabhängig davon helfen, das Fortschreiten der Krankheit zu verlangsamen.

Klinische Studien geplant – Hoffnung auf breitere Anwendung bei Netz­haut­krank­hei­ten

Das Team am National Eye Institute will nun erste Studien mit Menschen vorbereiten. Auch Patienten mit trockener alters­be­ding­ter Makula­degeneration (AMD) könnten künftig von der Behandlung profitieren – denn auch diese Erkrankung geht mit einem schleichenden Verlust der Sehzellen einher.

„Diese Studie zeigt zwar keine Heilung, aber sie zeigt, dass PEDF-basierte Augentropfen das Fortschreiten verschiedener degenerativer Netz­haut­erkrankungen bei Tieren verlangsamen können“, sagt Dr. Patricia Becerra, die die Studie leitete. Für Menschen, die heute mit der Diagnose Retinitis pigmentosa leben, bedeutet das vor allem eins: eine greifbare Hoffnung, das Augenlicht ein Stück länger zu bewahren.

Quelle: PRO RETINA For­schungs­newslet­ter 

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