Das Unsichtbare sichtbar machen?

Pris­men­bril­len werben mit nor­ma­li­sier­ter Sicht bei Makula­degeneration, doch Augenärzte warnen vor falschen Versprechen.

Das Gesicht des Partners fixieren, ein Kreuz­wort­rät­sel lösen, die Bienen auf den Blumen im Garten bestaunen – genau das, was man sehen möchte, ist in einen gräulichen Schleier gehüllt. So beschreiben Betroffene die Symptome von alters­be­ding­ter Makula­degeneration (AMD). Wenn sich ein trüber Fleck in die Mitte des Sehfeldes legt, ist das nicht nur beängstigend, es ist für die Betroffenen nie­der­schla­gend. Die Sehnsucht danach, die Welt wieder in alter Klarheit zu sehen, ist dem­ent­spre­chend groß – und leider auch das Risiko, vereinfachten Heils­ver­spre­chen aufzusitzen.

Was das Prisma verspricht

Deut­sch­land­weit bieten einige Optiker unter verschiedenen Namen AMD-Pris­men­bril­len an, die durch ihren besonderen – eben prismatischen – Schliff der Gläser für Durchblick sorgen sollen. Da der Bereich des schärfsten Sehens geschädigt ist, soll das betrachtete Objekt durch die Bril­len­glä­ser auf den Teil der Netzhaut umgeleitet werden, der nicht von der AMD betroffen ist. Doch Optiker sind keine Augenärzte.

„Bei Maku­laer­kran­kun­gen sind weder Prismen zur Bild­ver­la­ge­rung noch eine Wel­len­front­op­ti­mie­rung sinnvoll – und auch nicht deren Kombination“, heißt es beim Berufsverband der Augenärzte Deutschlands e. V. (BVA). Laut den Experten änderten Prismen zwar den Winkel, mit dem Lichtstrahlen ins Auge fallen, was die Abbildung des Raumes verschiebt. Das in der Hirnrinde den Netzhautorten zugeordnete Koor­di­na­ten­sys­tem wird aber nicht verändert.

Kurzum: Gehirn und Augen der Pris­men­bril­lenträger führen automatisch eine Ein­stell­be­we­gung aus, die die Wirkung der schräg geschliffenen Gläser kompensiert. Die Einschätzung der Experten wird von einer ran­do­mi­sier­ten Studie aus England mit über 200 Teilnehmern unterstützt, die bei den Betroffenen keine Unterschiede in der Sehkraft feststellen konnte – egal, ob Prismen eingesetzt wurden oder nicht.

Das neue Sehen trainieren

Bei wem eine alters­be­dingte Makula­degeneration dia­gnos­ti­ziert wurde, der sollte frü­hest­mög­lich lernen, mit dem Sehverlust umzugehen. Dazu gehört, sich das Sehen gewis­ser­ma­ßen neu anzueignen. Statt auf die angebliche Wirkung von Pris­men­bril­len zu vertrauen, empfehlen Augenärzte den Betroffenen, den Umgang mit ver­grö­ßern­den Sehhilfen wie Stand- oder Bild­schirm­lu­pen zu trainieren.

Das Gehirn sucht sich bei AMD einen neuen Fixierpunkt auf der Netzhaut – die Stelle mit dem dann schärfsten, aber verminderten Sehen. Mit viel Übung und Anstrengung können Betroffenen diese sogenannte „exzentrische Fixation“erlernen: Beim Lesen von Texten schauen sie dann bei­spiels­weise gezielt daneben, um die intakten Netz­haut­be­rei­che zu nutzen. Für diesen Reha­bi­li­ta­ti­ons­pro­zess – da sind sich die Fachverbände einig – sind kon­ven­ti­o­nelle Sehhilfen genauso geeignet wie Pris­men­bril­len. Teils werben Optiker mit patentierter, prismatischer Technik, was bei Hil­fe­su­chen­den ver­ständ­li­cher­weise für ein gewisses Vertrauen in die Wirkung sorgt. Die Besserung reicht aber nicht über minimale Effekte oder gar ein optisches Placebo hinaus. „Ein falsches Heil­ver­spre­chen birgt zudem die Gefahr, dass eine sinnvolle Anpassung ver­grö­ßern­der Sehhilfen, Trai­nings­maß­nah­men oder gar eine notwendige medi­ka­men­töse Behandlung zur Besserung der Sehschärfe unterbleiben“, so die Experten des BVA. Das Sehen neu zu lernen, ist leider ein aufwendiger Prozess.

Quelle: Sächsische Zeitung (Döbeln) / pressreader

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