Mit Gentherapien gegen das Erblinden

Gentherapien am Auge können schon jetzt Menschen vor dem Erblinden schützen. Fachleute sehen ein großes Potential für viele Betroffene, auch wenn das For­schungs­feld schon viele Rückschläge erlebt hat. Für eine Gentherapie ist das Auge eigentlich ein sehr praktisches Organ: Es ist leicht zugänglich, man kann hineinschauen und es gibt zwei davon - quasi eine interne Kontrolle, wie die Behandlung anschlägt. Auf einer Pres­se­kon­fe­renz im Rahmen des Deutschen Ophthal­molo­gischen Kongresses waren Gentherapien am Auge daher eines der vorgestellten Schwer­punkt­the­men.

Aktuell gibt es bereits eine zugelassene Gentherapie, die im Auge eingesetzt wird. Diese kann gegen die seltene Erkrankung Retinitis pigmentosa eingesetzt werden, sagt Katarina Stingl, Professorin für Augen­heil­kunde an der Uniklinik Tübingen. "Wir sprechen da von einer Gen­er­satz­the­ra­pie, das heißt, man ergänzt eine fehlende Erb­in­for­ma­tion in den Zielzellen mit Hilfe von veränderten Viren­par­ti­keln."

Eingreifen, solange die Zellen noch nicht abgestorben sind

Diese Unterform von Retinitis pigmentosa, bei der ein bestimmtes Gen fehlerhaft ist, tritt in verschiedenen Formen auf. In schweren Fällen kommen Babys quasi blind auf die Welt, bei anderen ver­schlech­tert sich die Sicht im Laufe der Kindheit. Besonders große Schwie­rig­kei­ten erleben Betroffene oft bei schlechten Licht­be­din­gun­gen. Betroffene Kinder bewegen sich zum Beispiel in der Dämmerung sehr unsicher, später erblinden sie komplett. Bei der zugelassenen Gentherapie sei es wichtig, dass man eingreift, solange die Zellen im Auge noch lebendig sind, sagt Siegfried Priglinger, Direktor der Universitäts-Augenklinik der LMU München und Präsident der Deutschen Ophthal­molo­gischen Gesellschaft. "Es gibt kein zu früh, es gibt nur ein zu spät." Die jüngsten Kinder, die behandelt wurden, seien zwei Jahre alt gewesen. "Das Problem ist nicht das Alter der Kinder, wir würden auch Babys entsprechend behandeln. Das Problem ist das Entdecken der Erkrankung. Das ist die große Aufgabe der nie­der­ge­las­se­nen Augenärzte."

Einmalige Investition - aber nur für wenige Patienten

Günstig ist eine solche Behandlung nicht: Man müsse dabei mit etwa 300.000 Euro pro Auge rechnen, so Priglinger. Dabei handelt es sich um eine sehr seltene Diagnose, für die meisten Menschen mit Netz­haut­erkrankungen kommt diese Therapie aktuell nicht in Frage. Trotzdem: "Die Patienten, die rechtzeitig behandelt werden, werden am Ende nicht blind, sondern können ein normales Leben führen. Die können in den Beruf normal einsteigen, die brauchen keine zusätzliche Versorgung - das Investment ist einmalig und extrem wertvoll", so der Professor für Augen­heil­kunde, Priglinger.

Ernüchterung statt Auf­bruch­stim­mung

Seit 2018 ist diese Therapie in Deutschland zugelassen, etwa 50 bis 60 Menschen haben sie hier seitdem erhalten. "Zu Beginn gab es tatsächlich so eine Art Auf­bruchs­s­tim­mung", erinnert sich Tobias Peters, Leiter der Stu­di­en­zen­trale der Augen- und Ohren­heil­kunde an der Uniklinik Tübingen. Doch das ist sieben Jahre her. "Inzwischen ist das so ein bisschen der Ernüchterung gewichen." Seit 2018 gab es keine weitere Gentherapie am Auge, die es zur Zulassung geschafft hat. Auch das Interesse der Industrie an diesem Thema sei zurück­ge­gan­gen, es habe wieder mehr Grund­lagen­forschung gegeben. Doch aktuell steigen die Hoffnungen der Fachleute wieder. Denn zurzeit laufen mehrere große Studien - mit bisher viel­ver­spre­chen­den Ergebnissen.

Häufige alters­be­dingte Erkrankungen im Blick

Da wäre zum Beispiel die Suche nach einer Therapie gegen die Alters­be­dingte Makula­degeneration. Das ist in Deutschland eine häufige Ursache für eine schwere Seh­be­hin­de­rung bei Menschen über 60 Jahren. Bei dieser Erkrankung ist der Stoffwechsel in der Netzhaut gestört. Als Folge ver­schlech­tert sich oft die Sicht im Zentrum des Sichtfelds, Gesichter und Buchstaben verschwimmen. Gegen eine Form dieser Erkrankung, die sogenannte feuchte Alters­be­dingte Makula­degeneration, gibt es eine wirksame Therapieform, bei der Antikörper mit einer Spritze ins Auge gebracht werden. Das kann den Sehverlust verlangsamen. Aber alle paar Wochen eine Spritze ins Auge - das kann für Betroffene sehr belastend sein. Aber auch für die Auge­n­ärz­tin­nen und Augenärzte, die kaum hin­ter­her­kom­men, sehr viele Menschen damit zu versorgen, sagt Augenarzt Priglinger von der LMU München

Aktuelle Studien mit mutmachenden Ergebnissen

Eine Gentherapie, an der gerade intensiv geforscht wird, könnte Abhilfe schaffen: "Hier werden Viren verwendet mit der genetischen Information für die Produktion von diesen Medikamenten, diesen Antikörpern. Die werden ins Auge gebracht." Die Zellen können dann zusätzlich zu ihrer natürlichen Aufgabe auch noch zusätzlich das Medikament produzieren, so Priglinger. "Dann brauchen diese Patienten die Spritzen entweder gar nicht mehr oder deutlich seltener." Das Ziel ist also, dass das Auge ein Protein zur Behandlung selbst herstellt. Die bisherigen Stu­diener­geb­nisse zur Sicherheit und Wirksamkeit dieser Gentherapie seien viel­ver­spre­chend, sagt auch Tobias Peters von der Uniklinik Tübingen: "Erste Ansätze zeigen, dass diese Patienten nicht mehr monatlich zur Spritze kommen mussten, sondern zum Beispiel über ein Jahr hinweg keine mehr benötigten."

Gentherapien als Zukunftsthema in der Augen­heil­kunde

Aufgrund dieses Wirk­sam­keits­nach­wei­ses seien er und andere Fachleute jetzt gespannt, welche Ergebnisse die aktuellen, großen Studien bringen werden. Und es gibt weitere Ansätze für verschiedene Gentherapien im Auge. Priglinger ist optimistisch, dass er und seine Kolleginnen und Kollegen schon in den nächsten Jahren auch für große Pati­en­ten­grup­pen mehr Gentherapien zur Verfügung haben werden. "Das hätte man vor wenigen Jahren nicht gedacht", so Priglinger. "Das ist schon extrem faszinierend und ich denke, dass wir damit vielen Menschen helfen werden."

Quelle: www.tagesschau.de

Datum