Netz­haut­erkrankungen: Protein ADAM10 spielt entscheidende Rolle

Die Ergebnisse einer aktuellen US-ame­ri­ka­ni­schen Arbeit könnten neue Strategien für die Behandlung und Prävention von Netz­haut­erkrankungen, die durch pathologische Neo­vas­ku­la­ri­sa­ti­o­nen gekenn­zeich­net sind, eröffnen.

Die im Fachjournal „American Journal of Pathology“ von Elsevier ver­öf­fent­lichte Studie zeigt, dass das endo­thel­zell­s­pe­zi­fi­sche Protein 10 mit A-Disintegrin- und Metal­lo­pro­te­in­ase-Domäne (ADAM10) das abnormale Wachstum von Blutgefäßen in der geschädigten Netzhaut reguliert. Diese Erkenntnisse fördern das Verständnis der Patho­phy­sio­lo­gie von neo­vas­ku­lä­ren Erkrankungen wie Früh­ge­bo­re­nen-Retinopathie und diabetischer Retinopathie und bieten einen potenziellen Ansatzpunkt für deren Therapie.

Erforschung der molekularen Mechanismen von ADAM10

ADAM10 ist an einer Vielzahl von zellulären Prozessen beteiligt, insbesondere an der Regulation der Expression von Zel­l­o­ber­flä­chen­pro­te­i­nen und der inter­zel­lu­lä­ren Kommunikation. Zudem spielt das Protein bekann­ter­ma­ßen eine phy­sio­lo­gi­sche Rolle bei der normalen Blut­ge­fä­ß­bil­dung. Seine Bedeutung jedoch für proliferative Retinopathien, bei denen eine abnormale Blut­ge­fä­ß­bil­dung die Hauptursache für Sehverlust und Sehstörungen ist, ist noch wenig erforscht.

Die vorliegende Studie untersuchte die Rolle des endo­thel­zell­s­pe­zi­fi­schen ADAM10 und seiner Signal­über­tra­gung bei der patho­lo­gi­schen Neo­vas­ku­la­ri­sa­tion innerhalb der Netzhaut. Unter Verwendung eines endo­thel­s­pe­zi­fi­schen ADAM10-Knockout-Mausmodells (ADAM10i∆EC) war es das Ziel, die molekularen Mechanismen aufzudecken, die der Beteiligung von ADAM10 an der retinalen Neo­vas­ku­la­ri­sa­tion zugrunde liegen. Dieses Wissen soll den Wis­sen­schaft­lern zufolge helfen, neue Erkenntnisse über potenzielle the­ra­peu­ti­sche Ansatzpunkte für neovaskuläre Netz­haut­erkrankungen zu gewinnen.

ADAM10 reguliert Konzentration des Proteins Ephrin B2 in den Endo­thel­zel­len

Der leitende Forscher Nikhlesh K. Singh, DVM, PhD, am Integrative Biosciences Center and Department of Ophthalmology, Visual and Anatomical Sciences, School of Medicine, Wayne State University, Detroit, USA erklärt: „In dieser Studie haben wir festgestellt, dass die ADAM10-Aktivität in der geschädigten Netzhaut deutlich erhöht war und dass eine Verringerung der ADAM10-Spiegel oder seiner Aktivität das Wachstum, die Ausbreitung, die Bewegung und die Röh­ren­bil­dung menschlicher mikro­vas­ku­lä­rer Endo­thel­zel­len der Netzhaut deutlich verlangsamte. Als wir ADAM10 aus den Endo­thel­zel­len von Mäusen entfernten, wurden außerdem Probleme im Zusammenhang mit Netz­haut­erkrankungen wie Blutungen aus Gefäßen, Schwellungen und die Bildung neuer Blutgefäße deutlich gemildert.“

Die Forscher fanden heraus, dass ADAM10 die Konzentration des Proteins Ephrin B2 in Endo­thel­zel­len reguliert. Auch zeigte sich, dass eine Verringerung der Ephrin-B2-Konzentration das Wachstum, die Bewegung, die Sprossung und die Röh­ren­bil­dung menschlicher Netz­hau­tendo­thel­zel­len beeinflusst. Zudem wurde ein signifikanter Anstieg der Ephrin-B2-Expression in der geschädigten Netzhaut beobachtet. Des Weiteren konnten die Wis­sen­schaft­ler beobachten, dass die Entfernung von ADAM10 speziell aus Endo­thel­zel­len die Ephrin-B2-Expression drastisch reduzierte. Laut den Forschern deutet das daraufhin, dass ADAM10 durch die Regulierung der Ephrin-B2-Spiegel eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung neuer Blutgefäße in der Netzhaut spielt.

Neue Strategien für die Behandlung oder Prävention von Netz­haut­erkrankungen

Die pathologische Neo­vas­ku­la­ri­sa­tion der Netzhaut ist die Hauptursache für den Verlust des Sehvermögens bei Erkrankungen wie pro­li­fe­ra­ti­ver diabetischer Retinopathie, Früh­ge­bo­re­nen-Retinopathie, Zen­tra­l­ve­nen­ver­schluss und alters­be­ding­ter Makula­degeneration. Der Abbau der extra­zel­lu­lä­ren Matrix durch Metal­lo­pro­te­in­asen führt zu vaskulären Kom­pli­ka­ti­o­nen bei verschiedenen pro­li­fe­ra­ti­ven Retinopathien. Die meisten der derzeitigen Therapie­ansätze für diese Erkrankungen umfassen invasive und mäßig wirksame chirurgische Eingriffe, wie bei­spiels­weise die Anti-VEGF-Behandlung (Vascular Endothelial Growth Factor).

Die auch an der Forschung beteiligten Shivantika Bisen, MSc, und Purnima Gogoi, PhD, MVSc beide vom Integrative Biosciences Center and Department of Ophthalmology, Visual and Anatomical Sciences, School of Medicine, Wayne State University und Gogoi zusätzlich vom Department of Medical Genetics, School of Medicine and Public Health, University of Wisconsin, Wisconsin, USA, merken an: „Verschiedene klinische und expe­ri­men­telle Ergebnisse zeigen, dass die Verwendung von Anti-VEGF-Wirkstoffen zu neuronalen Schäden, Bluthochdruck, Herzinfarkt, Schlaganfall und Diabetes führen kann. Darüber hinaus gibt es viele Patienten, die nicht auf Anti-VEGF-Therapien ansprechen. Unsere Studie zeigt, dass die gezielte Beeinflussung von ADAM10 oder seinen nach­ge­schal­te­ten Effektoren, wie Ephrin B2, neue Strategien für die Behandlung oder Prävention von Netz­haut­erkrankungen bieten könnte, die durch pathologische Neo­vas­ku­la­ri­sa­tion gekenn­zeich­net sind.“

Singh fasst zusammen: „Der menschliche Körper ist ein hoch­ent­wi­ckel­tes und autonomes System, und wir als medizinische Forscher bemühen uns, die Feinheiten seiner Existenz und Funk­ti­ons­weise zu verstehen, wobei wir immer wieder von seiner Selbst­ver­sor­gung und Wider­stands­fä­hig­keit fasziniert sind. Unsere Studie hat bedeutende Auswirkungen auf das Verständnis der Patho­phy­sio­lo­gie hypoxischer und/oder ischämischer Netz­haut­erkrankungen und zeigt potenzielle the­ra­peu­ti­sche Ansatzpunkte auf, die den Weg für neue Behand­lungs­stra­te­gien jenseits der aktuellen Anti-VEGF-Therapien ebnen.“

Quelle: biermann-medizin.de

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