Ziapin2 reaktiviert Netz­haut­funk­tion

Ein mul­ti­dis­zi­pli­näres italienisches Forscherteam hat die Wirksamkeit des Ziapin2-Moleküls als viel­ver­spre­chen­des neues Instrument zur Bekämpfung von Retinitis pigmentosa und alters­be­ding­ter Makula­degeneration (AMD) nachgewiesen.

Derzeit gibt es keine wirksamen Behandlungen zur Wie­der­her­stel­lung des Sehvermögens bei Retinitis pigmentosa und AMD. Bisher von der Wissenschaft angewandte Methoden, die auf der Substitution des Prozesses der Pho­to­trans­duk­tion der geschädigten Pho­to­re­zep­to­ren beruhen, wie die Optogenetik und Netz­haut­pro­the­sen, hätten lediglich zu Teil­er­geb­nis­sen bei der Wie­der­her­stel­lung des Sehvermögens geführt. Hier vor allem aufgrund der undeutlichen Aktivierung der Netz­haut­neu­ro­nen, unabhängig von der Trennung der visuellen Informationen über Hell und Dunkel in den ON- und OFF-Kanälen, wie die Autoren berichten.

Ziapin2 stellt licht­in­du­zier­tes Verhalten und Sehschärfe wieder her

Die von der Telethon-Stiftung unterstützte Studie zeigt, dass das Molekül Ziapin2 durch eine lich­t­ab­hän­gige Veränderung der elektrischen Eigenschaften der Neu­ro­nen­mem­bran in der Lage ist, die durch Lichtreize in der Netzhaut ausgelösten ON-, OFF- und ON-OFF-Reaktionen in prä­kli­ni­schen Modellen der Retinitis pigmentosa wie­der­her­zu­stel­len. Das führe zu einer Reaktivierung mehrerer Antworttypen, die typi­scher­weise in gesunden Netzhäuten vorhanden seien.

Darüber hinaus habe Ziapin2 bei der intra­vi­tre­a­len Injektion in prä­kli­ni­schen Modellen der Retinitis pigmentosa bei voll­stän­di­ger Erblindung, licht­in­du­zier­tes Verhalten und die Sehschärfe wieder herstellen können. Hierbei habe die Wirkung zwei Wochen lang angehalten und alle Bio­kom­pa­ti­bi­li­täts­tests wurden bestanden. Die Ergebnisse der Studie wurden im Fachjournal „Nature Com­mu­ni­ca­ti­ons“ ver­öf­fent­licht.

Das Ziapin2-Molekül wurde erstmals im Jahr 2020 von Chiara Bertarelli, Guglielmo Lanzani und Fabio Lanzani patentiert und in der Zeitschrift Nature Nano­tech­no­logy vorgestellt. Es handelt sich um einen Pho­to­trans­du­cer, der Licht absorbiert und in ein elektrisches Signal umwandelt. Indem es in die Neu­ro­nen­mem­bran eindringt, moduliert Ziapin2 die Erregbarkeit der Neuronen in Abhängigkeit vom Licht. Hierbei wirke es aus­schließ­lich auf die passiven Eigenschaften der Membran ein, ohne Ionenkanäle oder Neu­ro­trans­mit­ter­re­zep­to­ren zu beein­träch­ti­gen.

Ziapin2 wirkt auf nicht­de­ge­ne­rierte Neuronen in der Netzhaut

In ihrer letzten Studie konnte die For­schungs­gruppe vom Istituto Italiano di Tecnologia (IIT) zum ersten Mal nachweisen, dass Ziapin2 in ähnlicher Weise auch auf Neuronen in der inneren Netzhaut wirkt, die nicht degeneriert sind. Hier arbeite das Molekül insbesondere auf der Ebene der Bipolarzellen, wo die Hell-Dunkel-Information in verschiedene Ein- und Aus­schalt­ka­näle unterteilt und dann von den Gan­gli­en­zel­len über den Sehnerv an das Gehirn wei­ter­ge­lei­tet wird.

Den Wis­sen­schaft­lern zufolge bestätigt diese Forschung die Wirksamkeit des Moleküls in einem In-vivo-Kontext und ebnet den Weg für mögliche Entwicklungen im Hinblick auf zukünftige klinische Anwendungen. „Die erzielten Ergebnisse zeigen, dass das Ziapin2-Molekül äußerst viel­ver­spre­chend für die Wie­der­her­stel­lung der visuellen Reaktion bei Degeneration der Pho­to­re­zep­to­ren ist“, erklärte Fabio Benfenati, Koordinator des Zentrums für synaptische Neu­ro­wis­sen­schaf­ten und Technologie am IIT und Forscher am Instituto di Recuvero e Curo a Carratere Scientifico (IRCSS) San Martino Hospital in Genua, Italien. „Wir konnten zeigen, dass Ziapin2 den phy­sio­lo­gi­schen Antagonismus zwischen den ON-Neuronen der Netzhaut, die die Anwesenheit von Licht signalisieren, und den OFF-Neuronen, die die Abwesenheit von Licht signalisieren, auf der Ebene der bipolaren Zellen der Netzhaut wie­der­her­stel­len kann. Die Wie­der­her­stel­lung der dif­fe­ren­zier­ten Aktivität ist grundlegend für die komplexe Reaktion der Netzhaut auf Licht­sti­mu­la­tion, die ein natür­li­che­res Sehen ermöglicht.“

„In prä­kli­ni­schen Modellen der Retinitis pigmentosa stellte Ziapin2 die Reaktion auf Licht und Kontrast bis zu zwei Wochen nach einer einzigen intra­vi­tre­a­len Injektion wieder her, ohne toxische oder entzündliche Wirkungen“, schloss Stefano Di Marco, Forscher am IIT und derzeit Professor an der Universität in Genua. „Dieser innovative Ansatz könnte einen Wendepunkt bei der Wie­der­her­stel­lung des Sehvermögens im Bereich der degenerativen Netz­haut­erkrankungen darstellen“.

„Ziapin2 erweist sich als ein Schlüs­sel­mo­le­kül, das aus­schließ­lich auf die passiven Eigenschaften der Membran wirkt“, erklärt Chiara Bertarelli, Professorin am Politecnico di Milano. „Diese Studie unterstreicht seine In-vivo-Wirksamkeit und sein Anwen­dungs­po­ten­zial.“

Quelle: biermann-medizin.de

Datum